„Willst du aus dem Leben scheiden, tue den Holunder schneiden“, so lautet eine alte deutsche Bauernweisheit. Der Grund dafür wird klar, wenn man die Namensherkunft betrachtet: Im Wort „Holunder“ steckt die germanische Mutter- und Baumgöttin Holda, oft auch Holla genannt. Den alten Überlieferungen nach ist Holla die Beschützerin von Haus, Hof, Mensch und Vieh, kann über Wetter und Ernte bestimmen und hat sogar Macht über Leben und Tod. Im bekannten Märchen der Gebrüder Grimm wurde Holla zur Frau Holle, die es von ihrem unterirdischen Lichtreich aus auf Erden schneien lässt.
Es verwundert daher nicht, dass unsere Ahnen dem Holunderstrauch besondere Verehrung entgegenbrachten. Oft wurden ihm sogar Milch, Brot, Kuchen oder Bier geopfert, um die Schutzgöttin milde zu stimmen. Ein Holunderstrauch im Hof oder Garten galt aus vielen Gründen als nützlich: So sollte er vor Blitzschlag und Feuer schützen, schwarze Magie abwehren und sogar als Liebesorakel dienen. Und man durfte ihn keinesfalls fällen, weil das großes Unglück bringen würde.
In der alten germanischen und keltischen Sagenwelt gilt der Holunderbusch außerdem als Tor zur Unterwelt. Fantastische Wesen wie Zwerge und Kobolde wohnen angeblich in ihm und nutzen ihn als Portal, um von der einen in die andere Welt zu gelangen. Anderen Überlieferungen zufolge sind es die menschlichen Seelen: Im Englischen heißt der Holunderstrauch „Elderberry“, wobei „Elder“ für die Ahnen oder Alten steht. Das ist vielleicht mit ein Grund dafür, warum man vor dem Holunderbusch den Hut ziehen soll, wie eine weitere Volksweisheit besagt. Heute ziehen wir den Hut vor seinen Heilkräften: Denn auch wenn Holunder vielleicht keine Hexen und bösen Geister abwehrt, so haben seine Blüten und Beeren doch sehr positive Wirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden.